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26
Okt
2011

kàrpos IV (fin)

1955 übersiedelt H. in die DDR.
Über seine Motive lässt sich spekulieren. Der große B. soll ihm vom Umzug abgeraten haben.

Er richtet sich bequem ein zwischen zwei Welten: schüttelt Honecker die Hand und empfängt Nationalpreise. Lobt die Ausbürgerung Biermanns.
Zum Frühstück trinkt er Granini-Saft. Und die Gitanes kauft ihm der Wirtschafter im Intershop.

"Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" wird zum Kassenschlager.

Die Wintermonate verbringt H., gemeinsam mit seiner Frau, in der Schönhauser Allee 129.
Im Mai aber zieht es ihn hinaus in die Natur, nach Klein-Machnow, wo er sich im Laufe der Zeit ein Schlösschen erbauen lässt.

Backsteingebäude sind dort von einer Parklandschaft und hohen Mauern umgeben. Eine Marmorgöttin wacht, noch heute, im Schilf.

Im Inneren des Anwesens finden sich die Gemächer des Dramatikers: Arbeitszimmer, Schlafraum, Küche und Kemenate der Gattin - allesamt vollgepfropft mit Antiquitäten und Requisiten.

2003 stirbt der Umstrittene hier. Begraben ist er in der Hauptstadt, auf dem Französischen Friedhof, in der Nähe Fontanes.

Und so schließt sich ein Kreis.

24
Okt
2011

kàrpos III

Sie hat - leider! - so gar nichts von Effi.

Meta könnte sie heißen. Oder Alma?

Eine alte, welke Schachtel ist sie, und um den Mund herum trägt sie einen enttäuschten Zug, der sich, selten, zu einem höhnischen Lächeln verzieht.

Ihre Äuglein huschen in der Umgebung umher wie Mäuse, immer auf der Suche, flink, gierig und niemals zufrieden.




In der Theaterkantine haben sich die unterschiedlichsten Menschen versammelt.
Sie trinken Wein und Bier, rauchen, löffeln Bohnensuppe, reden, streiten oder dämmern vor sich hin.

Über Lautsprecher wird die sechzehnte und letzte Vorstellung von "Romeo und Julia" angekündigt.
Die Sprecherin gibt bekannt, dass dreihundertdreiunddreißig Karten verkauft seien und jeder, der noch einmal auf die Bühne wolle, nun letzte Gelegenheit dazu habe.

Die Julia kommt aus der Maske, trägt ein unschuldig weißes Baumwollkleid und dunkle Flechten. Sie zieht eine Schachtel Zigaretten aus dem Automaten und verschwindet.

Ein dicklicher Schalke-Fan zählt sein letztes Geld. Benvolio klopft ihm aufmunternd auf die Schulter, bevor er den Raum verlässt.

Und Romeo? Lautlos bewegt er seine Lippen. Für nach der Vorstellung ist er mit seinem Freund verabredet.




Am Abend liest die Malerin im Autonomen Frauenzentrum.
Sie ist die Tochter vom großen W., eine dunkelhaarige, trotzig dreinblickende Frau mit einer überraschend sanften Radiostimme.

Ihre Erzählungen, hochgelobt, sind, wen wunderts, Wortgemälde. Mit dem geschulten Blick einer Künstlerin spricht sie von Berthe und dem Anmischen von Hautfarben. Von Sylvia Plath und einem zweischwänzigen Faun.

Mit jedem Beifall läuft ein großer Hund zu ihr nach vorn und lässt sich streicheln.

Im Publikum (und erst nach Stunden finden sich Gesicht und Name): Asshole A., der Schwätzer.

21
Okt
2011

karpòs II

F. soll einmal gesagt haben, dass die, die drüben im Schloss leben, hier begraben werden.

Ein stiller Ort ist es. Wenn man, von der Straße kommend, hereintritt, umfangen einen Ruhe und grünes Licht.
Die Eiben haben rote Perlen auf den Grabsteinen verteilt. Keiner, der sie zu einer Kette fädeln könnte...

Offiziere haben hier ihre letzte Ruhe gefunden, Architekten und Gärtner.

Der eine Name will sich nicht finden lassen. Könnte man drei nennen, es fiele so viel leichter, ihn zu wählen.

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Die Villa, in der der Nachlass von F. verwaltet wird, liegt auf dem Gebiet der verbotenen Stadt.

Sieht man sie im Nachmittagslicht am Berghang liegen, ahnt man nichts von ihrer wechselvollen Geschichte.
Man kann sich nicht vorstellen, dass hier Urteile gefällt wurden, die Menschenleben beendeten.
Man ist unfähig, sich zur prächtigen Fassade Ruin und Verfall zu denken.

Zwei Männer haben das Haus gerettet, R. und O., der eine durch den Verkauf von Tabakwaren, der andere durch Versandhandel vermögend geworden.




S. berichtet von der nervenaufreibenden Handschriftenjagd, von Tagebüchern und Auktionen, von Geldmangel und davon, dass verschiedenen Zeitgenossen die Großzügigkeit der Herren R. und O. vollständig abgeht.

Zum Abschied betrachten wir ehrfurchtsvoll die chinesische Ausgabe eines Werkes von F.; im vorderen Teil des Buches befindet sich ein Porträt des Dichters.
Die Tatsache, dass die Abbildung aus dem Neuruppiner Apothekerssohn einen streng dreinschauenden Halbmandarin macht, lässt uns lächeln.

Der Chinese, "ein Drehpunkt für die ganze Geschichte."

20
Okt
2011

karpòs I

Z. hat ihm geholfen, das Anwesen ausfindig zu machen.

Ja, er will es kaufen. Leisten kann er es sich, weil er -endlich!- erfolgreich ist mit dem Roman. Die großen Zeitungen haben ihn vorabgedruckt.

Inmitten von Wäldern hofft er, Ruhe zu finden. Die Kinder werden hier bei ihm sein. Suse wird den Garten lieben, die Bäume, Blumen und das Licht abends am See.

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Er raucht viel. Den Tabak baut er selbst an.

Er trocknet ihn und verwahrt ihn im Arbeitszimmerschrank. Dort, wo er auch den Alkohol hat.

R. schreibt ins Gästebuch, dass er auch seinen nächsten runden Geburtstag hier in C. verbringen möchte.
"Ohne mich!" ergänzt mit energischem Schriftzug die Frau des Verlegers.




Er schreibt einen Brief an den Sohn, nennt ihn darin beim Kindernamen, als könne es gelingen, mit diesem Zauberwort die Vergangenheit heraufzubeschwören.
Er erkenne sich in ihm wieder, deutet er an, er wünsche so sehr, dass der Sohn es einmal leichter haben werde.

Er fleht ihn an, sich durchzubeißen.

Er nimmt alle Schuld auf sich, ohne Wenn und Aber.
Alles werde wieder in Ordnung kommen, verspricht er. Ein Herbstwort, das er nicht halten kann.

8
Sep
2011

wenn der himmel...

ihr nur ein wenig näher käme,
sie das morgenrot wie ein tuch um die schultern hätte -
dann könnte sie die andere sein;

sich mit gekrümmten fingern in den raum, die zeit, den blick eines jeden betrachters krallen,
und doch die augen aufreizend geschlossen halten, als seien die lider mit violettem zierstich vernäht.
den mund ganz klein auf die schultern legen. ein sonnenaufgang hielte sich kaum auf den mageren hüften.

aber sie ist die winzige mit störrischem haar, die verschlüsse öffnet und
am leben vorbeisehen muss.

9
Aug
2011

8
Aug
2011

22
Jul
2011

Der Oudspieler

Am frühen Abend hält ein Auto vorm Haus. In seinem Inneren lässt sich ein Gewirr von Menschenleibern ausmachen. Türen werden aufgestoßen. Dum. Fahrer und Beifahrer, beide kräftige Männer, winden sich aus dem Wagen. Wild gestikulierend diskutieren sie am Straßenrand: Taktaktaktak.

Mit einem metallenen Klicken öffnet sich dann eine der hinteren Türen. Tiktik. Schlagartig verstummen die Männer.

Die Übereinkunft zu handeln besteht, denn beide langen gleichzeitig ins Fahrzeug, die Gesichter abgewandt, so, als wäre ein Nichthinsehen nötig, oder zumindest der Tat an sich förderlich.

Mit vereinten Kräften zerren sie einen dritten Mann ins kühle Dämmerlicht. Er trägt einen mondweißen Kaftan und einen sorgfältig gebundenen, rotgemusterten Turban, umgreift ihre Schultern und mit einem Ruck heben sie ihn nach draußen. Mit ihren Händen formen die Männer eine Art Sitz, um dem Weißgekleideten den bevorstehenden Transport angenehmer zu machen. Grotesk und schutzlos baumeln seine blassen Beinchen herab, die dazugehörigen Füße, normal proportionierte Männerfüße, stecken in schäbigen Sandalen.

Der Restaurantbesitzer begrüßt lautstark die Ankömmlinge und weist ihnen den Weg.

Die Träger steigen mit ihrer Menschenlast ächzend die Treppen hinauf. Dumdumdum. Vorsichtig lassen sie den Mann im oberen Stockwerk auf einen Teppich gleiten. Hastig bedeckt er dort die dürren Gliedmaßen mit seinem Gewand. Dann richtet er sich auf und schaut sich im Raum um. Fenster sind weit geöffnet, die Gäste noch nicht angekommen. Kaum hörbar atmet er durch und streicht eine Haarsträhne zurück in den Turban.

Die Begleiter reichen ihm sein Instrument. Behutsam nimmt er den Oud in die Arme; streicht über den Korpus und kunstvoll gearbeitete Ornamente. Er schlägt Saiten an und beobachtet zufrieden, wie sich die Töne im langgestreckten Raum verteilen.

Die ersten Gäste erscheinen, Amerikaner und Briten, lassen sich auf bunte Teppiche fallen, flüstern miteinander und mustern ihn neugierig. Der Oudspieler lächelt. Man könnte meinen, seine Mundbewegung, das Leuchten der Augen, seien ein ausschließlich den Fremden geltender Gruß. Allein, das helle Lächeln gilt auch dem Abend, dem Vergnügen, unter Menschen zu sein, den Instrumenten, der Musik. Und der Wandlung.

Bittersüßer Tee wird in kleinen Gläsern serviert. Ein Sheikh zieht an einer Wasserpfeife. Die Amerikaner zünden die ersten Zigaretten des Abends an. Männer aus dem Dorf setzen sich zu ihnen. Sie haben ihre Darabukkas mitgebracht und warten auf ein Zeichen.

Ein Tanzlied klingt in den Abend. Der Musiker hat die Augen geschlossen und wiegt sich im Rhythmus seiner Weise. Die Darabukkas finden die Laute; geben, anfangs zögerlich, mit der Zeit bestimmend, den Takt vor:

Dumdum tak – Dumdum tak– Dumdumtak …

Die Fremden beobachten den Oudspieler eine Weile konzentriert, verfolgen jede seiner Bewegungen, das flinke Agieren von Händen und Fingern, seine Mimik, lehnen sich dann aber zurück, die Anspannung eines Tages fällt allmählich von ihnen ab.

Das Echo der Darabukkas kehrt von den Wänden zurück und so beginnen der Mann und sein Oud vom Tal zu sagen. Davon, dass es so auf das Meer des Lot zuläuft, wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt. Davon, wie sich jeden Tag die orangegoldene Abendsonne auf dem Bahr al-Mayyit spiegelt. Der Sänger beschreibt die Schönheit des Berges Rummana in klaren Mondnächten.

Die Männer aus dem Dorf fallen vielstimmig ein:
„wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt; wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt, wie ein Mädchen…“

Dumdum – taktak - Dumdum – taktak - Dumdum …

Hinter seinen geschlossenen Augen sieht er die Sprösslinge der Meerzwiebeln, die wieder die Hänge begrünen, Zypressenhaine und die blauen Echsen, die sich aus ihren Winterverstecken wagen. Den Himmel, in den sich ein Falke schwingt.

„wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt, wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt, wie…“

Später beginnen die Männer aus dem Dorf zur Musik zu tanzen. Einige der Fremden gesellen sich zu ihnen. Der Musiker beobachtet verstohlen eine blonde junge Frau, die sich anmutig zu den Klängen der Oud bewegt: „wie ein Mädchen, das seinen Geliebten empfängt…“

Es wird spät. Gegen Mitternacht gehen die meisten Gäste, unter ihnen auch die Tänzerin. Die Männer aus dem Dorf packen ihre Darabukkas ein und verschwinden mit einem Nicken in die Nacht.

Der Musiker sitzt noch immer aufrecht auf seinem Teppich und wartet geduldig auf die, die ihn nach Hause bringen. Er muss der Letzte sein, der den Raum verlässt.

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