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oman2010-152

10
Jun
2012

A heart like mine

There’s a heart like mine

- Eine nachgerufene Liebeserklärung –

Mein zweiter „richtiger“ Freund trug sie, oder genauer: ihr Foto, auf seiner unbehaarten Jünglingsbrust vor sich her: die Brothers Gibb, besser bekannt unter dem Namen „Bee Gees“.
Nur schemenhaft konnte man die drei Brüder auf dem textilen Wackelbild ausmachen, aber in altmodischen Buchstaben prangte der Name ihrer Band darüber.
Mein zweiter „richtiger“ Freund mochte das T-Shirt ganz offensichtlich, denn er trug es oft den Sommer über, kombiniert mit kurzen Jeans, die sich mit einem Druckknopf verschließen (und öffnen!) ließen und Kunstledersandalen, die ihm langsam zu klein wurden.

Ich liebte meinen zweiten „richtigen“ Freund und ich liebte das T-Shirt. Ich liebte die Musik der Bee Gees.

Dabei bin ich nie das gewesen, was man landläufig einen „Fan“ nennt. Ich hatte nie den Drang, Devotionalien zu sammeln, nicht einmal eine LP besaß ich.
Ich rechnete ziemlich fest damit, einmal zum Mond fliegen zu können. Schließlich war das dem berühmten sowjetischen Kosmonauten Juri Gagarin, dessen Namen meine Grundschule trug, auch geglückt. Dass ich jemals, sei es auch nur absolut theoretisch, jemals in den Genuss eines Konzertbesuches kommen könnte, war für mich, damals, in einer Zeit, in der sich junge Sandalenmänner mit dem Konterfei der Bee-Group schmückten, völlig unvorstellbar.
Weltall – ja. Stayin alive live – nein.

Dennoch waren „Night Fever“, „Spicks and Specks“, „How deep is your love“ für mich allgegenwärtig, die Songs gehörten ganz selbstverständlich zu meiner Welt. Sie waren wie Milch, die damals noch in Flaschen mit Aluverschluss verkauft wurde. Oder wie die der Lichtspalt unter meiner Kinderzimmertür. Wie der Geruch der Bäume an der Juri-Gagarin-Schule.

Jeden Tag ging ich nach dem Unterricht heim, schaltete das Radio an und erledigte, der Musik lauschend, meine Hausaufgaben. Induktionsbeweise wurden so möglich, Aufsätze atmosphärisch dicht. Wir, der zweite „richtige“ Freund und ich, hörten RIAS. Ich kann mich noch genau an den Namen meines Lieblingsmoderatoren erinnern. Er hießAndreas Dorfmann. Herr Dorfmann schickte die Musik der Bee Gees oft in den Äther.

1983 veröffentlichte Robin Gibb „Juliet“. Ich war verliebt, in meinen zweiten „richtigen“ Freund, in den Song und (natürlich) in den Sänger mit der Falsettstimme. Kein anderer Titel ist in meiner Erinnerung so verbunden mit einem Lebensabschnitt wie dieser. „Juliet“ beschwört, wie ein mächtiger Zauberspruch, ein Bild herauf. Ein ganz grausliches Bild. Stunden hatte ich beim Friseur zugebracht und mir eine Kaltwelle verpassen lassen. Ich weiß noch, wie ich vor meinem eigenen Spiegelbild erschrak, ich sah aus wie ein elektrisierter Wischmob. Ich schlief mit Wollmütze, um die wildgewordene Haarpracht irgendwie zu bändigen. Und ich fand mich trotzdem unwiderstehlich in einer buntbedruckten Karottenjeans aus dem Intershop, einem rosafarbenen T-Shirt und knöchelhohen Turnschuhen.

Nach dem Abi ging ich zum Studium. Ich traf dort T., der unglaublich gut Ottos Ottifanten zeichnen konnte und jeden heimischen Pilz kannte. T. blieb wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni und wurde nebenberuflich Pilzberater.
Vor allem aber war T. ein großer, wenn nicht der größte, Bee-Gees-Fan.
Er besaß alle Alben der Band, behandelte sie wie Heiligtümer und hatte sie, nach Veröffentlichungsjahr und Farbe sortiert, in sein Studentenbudenregal gestapelt.
T. sah aus wie Robin Gibb, er war groß, schlaksig und hatte den gleichen Haaransatz wie der Sänger. Ich will an der Stelle nichts über den Überbiss schreiben, der im Zusammenhang mit Robin Gibb oft erwähnt wird. Ich trug auch einmal eine Zahnspange und Robin Gibb hat mir (vielleicht auch deshalb) immer sehr gefallen. Sicher, er sah vielleicht nie so gut aus, wie sein Bruder Barry, der mehrfach zum „sexiest man alive“ gewählt wurde. Wenn man sich alte Filmaufnahmen anschaut, registriert man, dass Robin nie so breit in die Kameras lächeln konnte wie der ältere Bruder. Oft steht er etwas linkisch an der Seite oder im Hintergrund. Wie ein großer Junge wirkt er, der, die Hände in den Taschen, nicht so recht weiß, wohin mit sich in dieser Welt. Auch die Tatsache, dass er, modisch gesehen, immer der Paradiesvogel, der Außenseiter, der Sonderbare war, machte ihn zu meinem Helden. Ich liebte seine exzentrischen Frisuren, im Nachhinein glaube ich, dass sie meinen Wischmob-Style sogar ein bisschen inspiriert haben, seine Ohrringe, die Hüte, die Ballonmützen, die goldenen Ketten, die weit ausgeschnittenen Hemden, die Glitzeranzüge und, nicht zu vergessen, die Nickelbrille.

In den letzten Jahren war es, nach dem frühen Tod von Maurice Gibb, still geworden um die Bee Gees. Auch bei Robin Gibb hatte man eine Krebserkrankung diagnostiziert.

Die Nachricht von seinem Tod am 20. Mai 2012 traf mich wie ein Peitschenhieb.

Am 21. Mai veröffentlichte Barry, der nunmehr letzte lebende Gibb-brother, bei YOUTUBE das Video „Bodding“, eine collagenhafte Aneinanderreihung von Filmschnipseln, die untermalt werden von „A heart like mine“.
Ich habe gelacht und geweint, als ich die Aufnahmen sah. Gelacht in Erinnerung an die Glitzerwelt der siebziger, achtziger und neunziger Jahre. Gelacht beim Anblick von Maurice, der den Twist tanzt.
Geweint, weil ich den Schmerz von Barry so gut nachempfinden konnte.
Es gibt eine Sequenz , in der man die Köpfe von Robin und Maurice in Großaufnahme sieht. Die beiden sind sich ganz nah, so nah, wie sich alle Gibb-brothers wohl zeitlebens standen, und man ahnt, wie geborgen und aufgehoben sich Robin in Gesellschaft der Brüder fühlte.

Ich bin traurig, weil der Mann, der den Soundtrack zu meiner Sommerliebe komponiert hat, gegangen ist.

Ich bestelle mir noch am selben Tag sehnsüchtig mehrere Bee-Gees-Alben bei Amazon, vielleicht wird nun doch noch ein richtiger Fan aus mir. Meinen Söhne, direkte Abkömmlingen der Sommerliebe, müssen sich die BEST OF-Hits im Auto auf dem Weg zur Schule anhören. Der ältere der beiden summt anschließend in Momenten, in denen er sich unbeobachtet glaubt: „How deep is your love…“ Dem Kleinen ist Mutters Musik ein wenig peinlich.

Meine Söhne werden ihren Kindern auch einmal von Sommerlieben erzählen und von der Musik, die das Herz, wenn es schon stein schwer ist, noch schwerer machen kann. Oder auch viel leichter.

Die Welt dreht sich: “Now, I've found that the world is round and of course it rains everyday.”

Danke für viele schöne Momente. Rest in peace, Robin Gibb.

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