Zufallsbild

Img_08571

20
Mrz
2012

Messe-Nachlese

Hinter mir liegen vier Tage Buchmesse, eine (in meinem hohen Alter zunehmend) anstrengende, aber auch immer wieder inspirierende Zeit.
Generell muss ich anmerken, und ich glaube, das tue ich immer wieder an dieser Stelle, dass die eigentliche Messe mit jedem Jahr voller wird. Vor allem den Samstag in den Messehallen sollte man sich verkneifen. Da verstopfen (gefühlte) Millionen Cosplayer die Gänge und man kann sich kaum rühren, geschweige denn kommt man in irgendwelche Lesungen rein.

Was sich aber immer wieder lohnt, ist das Rahmenprogramm "Leipzig liest".

Am Donnerstagabend lauschte ich hingerissen Roger Willemsen, der die Geschichte vom müden Glück ("Das müde Glück" - edition chrismon) erzählte. Eine eigenwillige, sehr zeitgemäße Adaption der Hiob-Geschichte, musikalisch gerahmt von der Pianistin Olga Kushpler.
Leider hatte ich den ausgeborgten Fotoapparat zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Griff, sodass ich kein Bild zeigen kann. Schade eigentlich, denn Herr Willemsen hat zwischen den einzelnen Textchen immer sehr vergnügt in sich hineingeschmunzelt (Weil er das vergnüglich fand, was er soeben gelesen hatte oder weil er sich auf das freute, was er noch lesen würde?) und der Schatten seines belockten Denkerschädels wackelte an der Wand hinter ihm lustig hin und her.

Am Samstagmorgen besuchte ich Frido Mann, den Enkel von Thomas Mann, der sein Buch "Mein Nidden" (mare-Verlag) vorstellte. Unverkennbar, die familiäre Ähnlichkeit. Beeindruckend, die Bemühungen des Mann-Nachfahren, ein Stückchen Familiengeschichte fortzuschreiben. Im Buch geht es um das Mannsche Anwesen an der Kurischen Nehrung, das heute, auch auf Betreiben der Familie hin, als Kultur- und Begegnungszentrum fungiert.

Ganz kurz habe ich Friedrich Delius zugehört, dessen Biografie "Als die Bücher noch geholfen haben" (Rowohlt) durchaus interessant sein könnte.

Der "Star" der diesjährigen Messe schien mir Marion Brasch zu sein, jedenfalls wurde sie von Stand zu Stand und Sender zu Sender durchgereicht und dort sprach sie jeweils über ihr Buch "Ab jetzt ist Ruhe" (Fischer). Mir war sie bis heute absolut kein Begriff, aber wen ich schätze und verehre, ist ihr Bruder THOMAS BRASCH. Ich mag vor allem seine Gedichte.
Marion Brasch erzählt die Geschichte einer recht ungewöhnlichen Familie, der Vater, katholischer Kommunist mit jüdischen Wurzeln, war hoher Kulturfunktionär in der DDR, die drei Brüder galten bereits früh als regimekritisch, was zu innerfamiliären Konflikten führte, die Marion Brasch als kleines Mädchen aufnahm, aber interessanterweise erst jetzt, da alle Beteiligten (bis auf sie) verstorben sind, reflektiert. Mir hat ihre unkomplizierte Art und die Tatsache, dass sie nicht oder wenig zu verklären scheint, sehr gefallen. Das Buch steht auf jeden Fall auf Platz 1 meiner Wunschliste.

Von Zeruya Shalev habe ich bislang nur "Liebesleben" gelesen und war nicht übermäßig begeistert davon. Der neue Roman "Für den Rest des Lebens" (Berlin-Verlag) könnte interessant sein, verarbeitet sie darin doch biografische Brüche und die Thematik des Älterwerdens/Verblühens.

Am Freitagabend besuchte ich eine Lesung von Olga Tokarczuk, deren Bücher ich total mag. "Ur und andere Zeiten" ist bis heute eines meiner Lieblingsbücher, u.a., weil es sich so wohltuend abhebt von dem, was man sonst so liest. In diesem Jahr hat Olga Tokarczuk ihren neuen Roman "Der Gesang der Fledermäuse" (Schöffling) promotet, ebenfalls ein sehr, sehr empfehlenswertes Buch, eine Art Ökokrimi. Für mich ist die polnische Autorin eine von den ganz großen, ich bin sicher, von ihr wird man auch weiterhin hören.

Am Samstag stand dann zum Abschluss Andrej Kurkow auf dem Programm, glücklicherweise las der gleich gegenüber von unserem Hotel im Restaurant "Stein". Kurkow, ein ukrainischer Eulenspiegel, las aus "Der Gärtner von Otschakow". Ein sehr witziger, unvergesslicher Abend.

Wen habe ich noch gesehen? Herrn Walser, Herrn Karasek und Christian Anders, der immer wieder großen Blödsinn verkündet auf der Buchmesse. Meiner Meinung nach.
Sigrid Damm habe ich leider verpasst, mir aber wenigstens ihr neues Buch ("Wohin mit mir") gekauft und auf der Heimfahrt darin geschmökert.

Und: ich habe auch selbst gelesen, zum ersten Mal, so richtig offiziell und es fühlte sich ganz gut an. :-)

Profil
Abmelden
Weblog abonnieren