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2
Okt
2010

Alles Weitere

Dass dieser Sommer, von dem sie im Nachhinein als dem „bulgarischen“ redeten, ihren jungen Leben eine völlig neue Wendung geben würde, ahnte keiner von ihnen.

Sie waren Anfang zwanzig und sonnten sich am Strand von Varna. Abends tranken sie sauren Rotwein.
Später würden sie nach Trnovo aufbrechen, dort mit bärtigen Studenten Bekanntschaft schließen und die Sonne hinterm Zarewetz versinken sehen.
In Sofia standen sie staunend vor der goldkuppeligen Kathedrale und kauften Schafskäse für daheim.

Die DDR war unglaublich weit weg. Die thüringische Kleinstadt fern.

Doch schließlich gingen die unbeschwerten Sommertage ihrem Ende zu.
Der Semesterbeginn stand unmittelbar bevor und sie alle wollten an die Uni zurückkehren.

Der Sofioter Flughafen markiert gleichsam das Ende des Balkanaufenthaltes und das fast zögerlich zu nennende Wiedereintauchen in die ostdeutsche Zeitrechnung.

Auf dem Flug wird kaum gesprochen. Jeder hängt seinen Gedanken nach.
Die kleine Reisegruppe landet planmäßig in Berlin-Schönefeld.

Sie will sich noch vom Flughafen aus telefonisch bei der Familie zurückmelden. Der Vater hebt ab. Ungewöhnlich, denkt sie. Normalerweise ist die Mutter die Wächterin über den Telefonapparat.

„Gut, dass du gesund gelandet bist“, sagt der Vater mit ernstem Unterton.
„Alles Weitere erzählen wir dir zu Hause.“

Alles Weitere? Ein ungutes Gefühl beschleicht sie, das so gar nicht zur abklingenden Ferieneuphorie passen will.

Gesund gelandet?

Im Zug nach Dresden sitzt sie allein in einem Abteil. Sie ist müde von der Reise, erschöpft, aber ihre Gedanken kreisen beständig um die Worte des Vaters.

Der Zug fährt im Hauptbahnhof ein. Sie steigt aus und erschrickt. Überall sind Uniformierte postiert. Steine liegen umher. Zerschlagenes Fensterglas.

Dass in den vergangenen Wochen noch viel mehr zu Bruch gegangen ist, wird man ihr Stunden später erzählen. Und alles Weitere.

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